Heute fängt es pünktlich 5:30 Uhr an zu regnen – wie
vorhergesagt. Das ist aber nur schlimm in Bezug auf die Wäsche, denn bei 20° C
ist der Regen eine Wohltat. Bei Sonnenschein wären hier im Landesinneren sicher
um die 40° C. Selbst nach diesem Winter sind wir das definitiv nicht gewöhnt.
Nach dem Frühstück geht es um 7 Uhr los. Wir haben geschätzt
120 Teams vor uns und die ersten 20 Kilometer sind überwiegend flach. Im
Gelände ist das nicht ganz ungefährlich. An einer Stelle springt vor uns
irgendein katzenartiges Tier in den sich mit Tempo 40 fortbewegenden Pulk und
attackiert einige Fahrer. Glücklicherweise gibt es keinen Sturz und das Tier
springt direkt vor mir wieder in den Seitengraben (es hat sicher meinen Schweiß
gerochen …).
Heute merke gleich von Anfang an, dass mein Bruder hoch
motiviert ist – zu motiviert für meinen Geschmack. In Anbetracht des weiteren
Streckenverlaufs mit 113 Kilometern und des vernachlässigbaren Rests von sechs
Etappen versuche ich ihn die erste Rennstunde zu bremsen. Mir gelingt das
leider nicht so ganz. Ein sicheres Zeichen, dass ich schon zu den alten Säcken
zähle – denn auf die hören die Jungspunde ja nicht. Da ist nichts zu machen.
Nach dem gestrigen Prolog ist mir eigentlich klar, dass das
Tempo hier nur ins Auge gehen kann. Am Ende des Flachstücks sind wir mitten
drin in der Spitzengruppe unter den ersten 20 Teams. Am ersten Schiebestück
bekommt Immanuel Probleme und wir müssen abreißen lassen, befinden uns aber
immer noch in hervorragender Position. Als es das erste Mal richtig ruppig
wird, haben reihenweise Top-Teams Defekte und stehen am Rand. Zum Glück kommen
wir unbeschadet durch. In irgendeinen Trail stechen Nino Schurter und Philip
Buys kurz vor uns rein. Letztgenannter und wir kriegen eine kleine
Fahrtechniklehrstunde. Für manche Leute scheint eine andere Physik zu gelten.
Wie ich es befürchtet hatte, baut mein Bruder nun langsam aber sicher ab.
Einige Teams überholen uns; alles bekannte Profi-Fahrer. Sie sind nicht einmal
viel schneller als wir, was etwas Mut macht. Leider geht es bei Immanuel immer
weiter bergab und er klagt über Rückenschmerzen. Die Trails sind extrem
ausgewaschen und ruppig. Bald ist der Rennschalter bei ihm ganz aus. Mir ist
ziemlich klar, dass das heute noch interessant wird. Ich habe einen guten Tag
erwischt und versuche Immanuel zu schieben wo es geht. Dennoch kassieren uns
immer wieder Teams. Zwischen Kilometer 40 und 80 fahren wir praktisch im Tourentempo.
Das ist sogar objektiv so, was mit Immanuels Leistungsmesser leicht
festzustellen ist. Zum Glück sorgen immer mal wieder ein paar schöne Trails für
Abwechslung und das Bergpanorama ist auch nicht von schlechten Eltern. Es gibt durchaus
noch Teams, denen es schlechter geht als uns. Irgendwo sammeln wir Bart „die
Lunge“ Brentjens auf. Seinem Teampartner Abraao Azevedo hat es ganz
offensichtlich alle Lichter ausgeknipst. Nach dem letzten langen Berg bei
Kilometer 80 wird es relativ flach. Bei Immanuel scheint es langsam wieder
besser zu gehen. In den ebenen Abschnitten kann ich ihm Windschatten geben und
wir rollen wieder an ein anderes Team heran. Mit diesem fahren wir bis kurz vor
Schluss zusammen. Nach ziemlich genau fünfeinhalb Stunden haben wir es
geschafft. Gesamtplatz 32 mit ca. 50 Minuten Rückstand auf die Etappensieger ist
überraschend gut für unseren Rennverlauf. Auch zeigt es, wie hart die Etappe
heute selbst für die Profis war. Wobei, eigentlich hat man das schon beim Blick
in die Gesichter im Ziel gesehen. Morgen soll es etwas einfacher werden und wir
haben den Vorteil aus dem ersten Startblock starten zu können. Hoffentlich
lässt sich Immanuel überreden, das Ganze etwas lockerer anzugehen. Ich bin mir
sicher, dass sich das heutige Etappenresultat mit deutlich weniger Leiden hätte
erreichen lassen, wenn wir gleichmäßiger unterwegs gewesen wären. Aber hätte,
wäre, wenn nützt jetzt nichts mehr. Vorerst zählt nur, sich zu erholen. Die
Beine sind dabei das geringste Problem. Viel entscheidender ist der Oberkörper,
der auf Etappen wie der heutigen extrem gefordert wird.
Zieleinfahrt nach 103 km |
"In irgendeinen Trail stechen Nino Schurter und Philip Buys kurz vor uns rein. Letztgenannter und wir kriegen eine kleine Fahrtechniklehrstunde. Für manche Leute scheint eine andere Physik zu gelten."
AntwortenLöschenOh Gott, ich lachte so hart! Genau wie bei
"Ein Mixed-Team zieht vor uns seine Kreise. Die nicht gerade schlanke Dame taumelt im Schritttempo um die Ideallinie zwischen linkem und rechtem Rand des Trails herum. Der Begriff „Streubombe“ bekommt hier eine neue Bedeutung für mich."
Wenn Ihr wieder da seid, würde ich gern für unseren Blog mal ein Frage-Antwort-Spiel mit Euch spielen :-)