Eins vorweg: Wir sind noch im Rennen. Aber der Reihe nach.
Gegen Mitternacht wecke ich auf, weil das Zelt zur
Tropfsteinhöhle geworden ist. Ich hatte das schon gestern befürchtet. Warum
besteht dieses dämliche Ding hier aus Innen- und Außenzelt, wenn sich doch
beide überall berühren? Jedes Mal wenn ich fast wieder eingeschlafen bin,
tropft es mir wieder ins Gesicht. Irgendwo habe ich mal von einer Foltermethode
gehört, bei der dem zu Folternden in kontinuierlichen Abständen Wasser auf den
Kopf tropft. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis einen das in den Wahnsinn
treibt. Als gegen zwei Uhr noch Windböen dazukommen gibt es Regenschauer im
Zelt. Da ich mittlerweile sowieso ein Dixie brauche, entscheide ich mich raus
zu wagen. Nur mit Unterhose und Kopflampe bekleide renne ich um den halben
Zeltplatz. Ganz sicher ein Bild für die Götter, aber jetzt sieht das zum Glück
keiner. Als ich nach einem nicht weiter erwähnenswerten Zwischenfall zurück am
Zelt bin, versuche ich den Zeltaufbau zu optimieren. Nach wie vor in Unterhose
und mit Kopflampe, versteht sich. Das Unterfangen stellt sich als aussichtslos
heraus. Vier Ecken, vier Heringe – klar, dass die Außenhülle nicht straff zu
bekommen ist. Ich kann mich also nur darauf beschränken, den Schaden in Grenzen
zu halten. Mit Handtuch bewaffnet wird das Zelt (soweit wie möglich)
vorübergehend trocken gelegt. Was für eine kluge Idee, hier den
Daunenschlafsack mitzuhaben. Der reagiert ja ganz besonders gut auf Nässe. Ich
schlafe noch einmal ein. Als ich gegen vier Uhr wieder aufwecke liege ich mehr
oder weniger im Wasser – dumm gelaufen. Nach einem weiteren
Trockenlegungseinsatz kann ich immerhin noch eine halbe Stunde bis zum
Weckerklingen 4:45 Uhr weiterschlafen. Zum Glück ergeht es meinem Bruder etwas
besser und er kann halbwegs Schlafen. Aber auch ich muss zufrieden sein mit der
Nacht, denn: Schlimmer geht’s immer. Das Zelt diagonal gegenüber von uns ist
zum Beispiel halb zusammengeklappt. Und dabei war das noch gar kein allzu schlimmes
Unwetter.
Um 7 Uhr fällt der Startschuss für uns – nach wie vor bei
Regen. Die ersten Kilometer im Pulk geht es durch viele tiefe Pfützen. Eine
allerübelste Sauerei ist das heute. Leider wird Immanuel im dichten Gedränge in
einen Fast-Sturz verwickelt und verliert den Anschluss zu mir, was ich wiederum
nicht mitbekomme (sich Umzudrehen würde bei diesen Bedingungen auch ein
unkalkulierbares Risiko bedeuten). Beim Versuch wieder heranzukommen, muss er auch
heute wieder gleich zu Beginn in den roten Bereich. Wir befinden uns bei der
ersten Verpflegung ca. auf Position 30. Ich fühle mich gut, aber nach 1,5
Stunden kommt bei Immanuel wieder der Mann mit dem Hammer kombiniert mit den
Rückenproblemen von gestern. Wir fahren kontinuierlich weiter und versuchen den
Schaden in Grenzen zu halten. Trotzdem geht Platz um Platz flöten. Auf den
vielen Trails kann ich meinen Bruder auch kaum unterstützen. Zu allem Überfluss
spielt die Technik an seinem Rad bald nicht mehr mit. Die Kurbel wird locker.
Die hintere Bremse hat einen Kolbenklemmer und ein Bremsbelag ist schon nach
reichlich der Hälfte bis aufs Metall durchgeschliffen. Ständig wird Immanuel
von Kettenklemmern geplagt. Zweimal müssen wir den Umwerfer demontieren, um das
Rad wieder lauffähig zu bekommen. Unser Ziel lautet nur noch Ankommen. Knapp 30
Kilometer vor dem Ziel tauschen wir unsere Räder. So hat Immanuel wenigstens
ein halbwegs funktionsfähiges Rad, was es ihm etwas einfacher macht. Irgendwann
sind wir tatsächlich im Ziel. Das Ergebnis (wir sind 106. auf der Etappe geworden
und jetzt 59. im Gesamtklassement) ist uns völlig egal – Hauptsache durchgekommen.
Und: Schlimmer geht’s immer. Andere hat es heute noch viel heftiger erwischt. Manche sind gar nicht angekommen. Und jetzt scheint sogar noch die Sonne. Das ist auch dringend nötig, um die in der Nacht nass gewordenen Sachen zu trocknen.
Zieleinfahrt |
Sebastian im Ziel |
Immanuel ebenfalls |
Und: Schlimmer geht’s immer. Andere hat es heute noch viel heftiger erwischt. Manche sind gar nicht angekommen. Und jetzt scheint sogar noch die Sonne. Das ist auch dringend nötig, um die in der Nacht nass gewordenen Sachen zu trocknen.
Den Rest des Tages verbringen wir mit Wundenlecken. Nach der
Reinigung von uns selbst geht es an die Instandsetzung der Räder. Von den
Bremsbelägen ist bei keinem von uns beiden mehr viel übrig (und da fahren wir
schon die haltbare Variante). Die Schaltzüge inklusive Außenhüllen können wir
auch gleich komplett austauschen. Immanuels rechter Schalthebel hat eine
derartige Schlammpackung, dass wir ihn komplett auseinandernehmen müssen. Bei den
Federgabeln rührt sich auch nicht mehr viel, aber das muss jetzt für den Rest
des Rennens so gehen. Das Problem ist der extrem feine Staub überall. Mit Nässe
kombiniert gelangt dieser überall hin.
Gerade eben fängt es wieder an mit regnen … mal sehen, was
die Nacht und der morgige Tag so bringen.
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